Haute Route

Graubünden

Text & Bilder: Antonia Rüede-Passul & Lukas Irmler

Ostern ist dieses Jahr erst Ende April. Es wird unsere erste Mehrtagesskitour und Freunde empfehlen uns die Haute Route in Graubünden. Die Lawinensituation sieht gut aus und der Wetterbericht verspricht ein sonniges Wochenende.
Aus der Tourenbeschreibung wird nicht klar wie man Ziel und Start mit öffentlichen Transportmitteln verbindet, deshalb modifizieren wir den letzen Tourtag etwas. Wir werden nicht wie angegeben am Furka Pass enden, sondern in Brail (via Piz Sarsura und das Ova de Barras) und von dort mit dem Bus zurück nach Zernez.
Wir parken in Zernez auf einem kostenlosen Parkplatz am Bahnhof und schlafen im Auto. Um 7 Uhr fährt der Zug nach St. Moritz, von dort aus geht der Bus (1x täglich) zum Julierpass.
9.30 Uhr, das Abenteuer kann beginnen. Die Sonne brennt schon jetzt von oben, wir trennen uns mit jedem Meter von einer weiteren Lage Klamotten und fügen eine Schicht Sonnencreme dazu. Eigentlich ist es ein gemütlicher Anstieg und trotzdem falle ich stetig zurück. Wir tauschen die Rücksäcke und plötzlich ist es andersrum. Das Gewicht sollten wir vielleicht etwas gleichmäßiger verteilen.
Wir sind so mit unseren Rucksäcken beschäftigt, dass wir ohne nochmal auf die Karte zu schauen den Spuren nachlaufen. So kommen wir am Fuorcia d’Agnel raus und nicht wie geplant am Piz Surgonda. Das geht ja gut los, ist aber zum Glück nicht weiter schlimm. Wir haben nur ein paar Höhenmeter weggelassen. Die Aussicht ist grandios und wir bekommen einen kleinen Eindruck wie die nächsten Tage werden. Lukas’ Handstandfoto darf natürlich auch nicht fehlen – garnicht so einfach mit Skischuhen!
Wir fahren zur Hütte ab und ziehen unsere ersten Linien im unberührten Schnee.


Jetzt trennt uns nur noch ein kleiner Anstieg vom wohlverdienten Abendessen an der wunderschönen alten Jenatsch Hütte. Da wir in der Schweiz sind, hatten wir bereits vorher beschlossen selbst zu kochen. Das es dort im Winter auch kein Trinkwasser gibt, fällt mir allerdings schwer zu glauben und als ich den Literpreis höre, traue ich meinen Ohren kaum – 10 CHF für 1,5L. Das heißt wir kochen nicht nur, sondern schmelzen auch noch Schnee. Am Abend stelle ich zudem fest, dass es doch einige Schichten Sonnencreme zu wenig waren. Mein Gesicht hat die Farbe meiner Jacke – himbeer. Anfänger, denke ich mir und muss ein bisschen schmunzeln!
Wir schlafen wie Babies und stehen erst auf, als schon alle beim Frühstück sind. Wir genießen unser Müsli vor der Hütte und beobachten die Sonne hinter den Gipfeln aufsteigen. Der Schnee ist noch gefroren und wir traversieren einen 45° steilen Hang. Ich wünschte, wir hätten vorher an die Harscheisen gedacht – zu spät. Jetzt sollten wir besser nicht mehr abrutschen. Lukas vor mir kümmert sich wenig um den Abgrund und geht munter voraus. Seine Nerven hätte ich gerne. Wir kommen beide gut an, aber die Lehrstunde war wirkungsvoll – danach laufen wir morgens nicht mehr ohne los. Von hier an ist es ein Bilderbuchanstieg zum Piz Laviner.
Die Aussicht ist herrlich und die Abfahrt danach wunderbar lang. Leider sehen die ersten hundert Meter wesentlich bessere aus als sie sind – Bruchharsch. Bisher hörte ich sie immer nur darüber schimpfen, jetzt weiß ich auch warum. Ich fluche und Lukas, nun ja, liegt hauptsächlich kopfüber im Schnee. Von einem Meter zum nächsten verwandelt sich das Teufelszeug in traumhaften Firn und Skifahren ist wieder wie flieeeegen! Weich und fluffig und wunderbar. Wir cruisen den Bach entlang bis ins Tal.
Jetzt müssen wir einige Kilometer mit dem Zug fahren. In der Beschreibung klang das in Ordnung, die Realität sieht etwas anders aus.

Wir binden die Ski an den Rucksack und laufen 20min an der Straße entlang nach Preda. An diesem seltsamen, leer ausschauenden Ort sitzen wir nun am Bahnhof und warten auf den Zug nach Madulain. Es ist zum schmelzen heiß. Nach 3 Stunden warten, umsteigen und Zug fahren sind wir da und mehr oder weniger bereit für die quasi zweite Skitour heute, fast 1000hm bis zur d’Es-cha Hütte.
Der Himmel ist bedeckt, wir tragen die Ski bis der Schnee beginnt. Es ist schon spät und der Schnee ist nass und schwer. Ich merke wie meine Energie nachlässt. Wir machen ein paar Höhenmeter und laufen dann Richtung Talschluss, reden über Gott und die Welt und die erste Zeit geht schnell vorbei. Am Talende wenden wir uns rechts zum finalen Anstieg. Schritt für Schritt läuft nun jeder für sich. Ich kann den Giebel der Hütte schon sehen und versuche meine letzten Kräfte zu mobilisieren, aber da ist nicht mehr viel. Als der Giebel näher kommt stellt sich heraus das es ein Fels ist, auch das noch. Die letzten Meter bis zur Hütte scheinen endlos.
Was für ein Tag! Die Hütte ist winzig und wunderschön und die Hüttenwirte ganz bezaubernd. Eine heiße Schoki bringt mich wieder zu Kräften, während Lukas das Abendessen macht. Wir sitzen auf der Terrasse und schauen den Gipfeln zu wie sie in den Wolken und der Dunkelheit verschwinden. Ich bin ganz schön stolz, 1900hm an einem Tag ist mein persönlicher Rekord. Dann bin ich eingeschlafen.
Wir wachen auf und sehen Nichts – alles weiß. Mit zwei Briten verlassen wir unsere Lieblingshütte und marschieren Richtung Keschhütte. Die beiden sind mit Karte und Kompass unterwegs und heute recht dankbar, sich unserem GPS anschließen zu dürfen. Die Tagesetappe ist wesentlich kürzer, aber deutlich technischer. Es geht (dieses Mal mit Harscheisen) einen Hang entlang, dann zu Fuß über einen Sattel und wieder mit Ski zum Depot vom Piz Kesch. Mittlerweile ist der Himmel wieder blau. Am Depot erkundigen wir uns nach den Schneekonditionen und Anforderungen. Alles klingt gut und mit Steigeisen und Pickel kraxeln wir nach oben. Während dessen hüllt sich der Gipfel in eine große weiße Wolke und wir sehen mal wieder Weiß. Ganz kurz reißt es auf, aber die eigentliche Belohnung kommt erst später. Bei der Abfahrt fahren wir erst durch fluffigsten Pulverschnee und dann feinsten Firn. Das hätten wir nicht besser treffen können!
Um 15 Uhr kommen wir an der Keschhütte an und sehen hinter uns den majestätischen Gipfel aufragen. Das kalte Bier schmeckt mit dieser Aussicht am besten.
Leider ist auch hier das Wasser angeblich nicht trinkbar. Ich bezweifle das zwar, aber riskieren möchten wir es beide nicht. Die Preise pro Flasche sind ähnlich, also schmelzen wir mal wieder Schnee. Plötzlich geht das Rauschen aus und das Gas ist leer, verflixt! Mit der Kälte ist nicht zu spaßen. Die unausweichliche HP ist lecker, aber nicht zwangsläufig kompatibel mit dem Studentendasein. Die Bergsicht beim Essen ist dafür unbezahlbar, die ganze Stube ist verglast und von unseren Wegbegleitern lernen wir zudem, wie man sich hier mit Kompass und Karte zurecht findet.
Der vierte Tag beginnt mit einer langen, eisigen Fahrt in das endlose Tal. Nach einer Kuppe stehen wir auf einmal in einem Talkessel, umgeben vom Gipfeln. Einer davon wird heute unser Zwischenziel sein, wir tippen auf den Linken, aber die Tour führt uns zum Rechten. Am Sattel bläst uns der Wind fast von den Füßen und die Tourenbeschreibung macht hier wenig Sinn. Wir suchen uns die logischste Linie zur nächsten Hütte um weiter unten festzustellen dass wir zwar richtig sind, aber die Route trotzdem nochmal zum gleichen Grat aufsteigt – so ein Blödsinn. Lukas lacht mich aus weil ich nur widerwillig schon wieder die Felle aufziehe. Die Sicht oben ist der Abstecher trotzdem wert. 360° freie Sicht und der Piz Kesch am Horizont, unglaublich das wir erst gestern dort oben waren.
Eine kurze Abfahrt, Felle wieder drauf und auf zum nächsten Sattel – langsam werden wir richtig flott. Wir stehen am Depot vom Piz Grialetsch und betrachten den Anstieg, Südhang. Mit einem Blick auf die Uhr entscheiden wir uns dagegen und fahren zur Grialetschhütte ab.
Eine Hütte ist hübscher als die andere! Mit Rüblikuchen, Karte und der Meinung des Wirts planen wir den nächsten Tag, während Abendsonne die Gipfel zum glühen bringt.
Beim Abendessen lernen wir Brigitte & Co kennen. Wir haben die gleichen Pläne für den nächsten Tag und da wir von der offiziellen Route abweichen sind wir dieses Mal sehr dankbar, uns den „alten Hasen“ anschließen zu dürfen.
Mit der ersten Sonne fahren wir die eisigen Hänge einige hundert Meter ins Tal und laufen auf der anderen Seite wieder hoch. Wir werden über den Fuorcla Sarsura gehen und zum Piz Sarsura aufsteigen. Heute ist Ostern. Am Gipfel sehen wir dann auch, wozu man diesen Pieps wirklich braucht – zum Ostereier suchen auf 3000m.
Und dann ist es Zeit den Winter hinter uns zu lassen. Wir verstauen die Felle im Rucksack, traversieren unterhalb des Gipfels zur Fuorcla Barlas und genießen die herrliche Abfahrt durch das Ova de Barlas nach Brail. Das Eis verwandelt sich schnell in unberührten Firn und die Berge gehören uns! Ich fahre als letzte und bin fasziniert wie viel Lukas in seinem ersten Winter auf Ski gelernt hat. Er hat wohl recht, man lernt am meisten am Rand der eigenen Komfortzone.
Im Tal sprießen die ersten Bäume und der Schnee wird schwer. Frühlingsbeginn!
Per Autostop fährt Lukas die letzen Kilometer nach Zernez und holt die Ski und mich in Brail ab. Mit offenen Fenstern und Bombay Street 77s „Up In The Sky“ fahren wir nach Hause. Mit roten Nasen, glücklich und stolz.
Infos unter:
www.hauteroute-graubuenden.ch/

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